Jinyoung Lee


x   Y
     
x   Y
     

>> nach oben



"The Sensibility of Today"
08.02.2013 - 27.06.2013


Malen als eine Fechtkunst gesehen

Zur Farbmalerei von Jin Young Lee

Seit sich in der Malerei die Farbe von der Bindung an die Form emanzipiert hat, kann man die Malerei definieren als die Verteilung von Farben auf einer gegebenen Fläche von beliebiger Form. Diese Definition verfügt über den Vorteil hoher Allgemeinheit und Abstraktion. Sie gilt für jede Farbfeldmalerei. Doch darin liegt auch ihr großer Nachteil. Es fehlt dieser Definition an Konkretion. Wie soll mit ihr der individuelle Stil einer Malerin beschreibbar werden? Was sagt sie über die konkrete Farbgebung aus? Um der Farbmalerei Jin Young Lees gerecht zu werden, müssen wir einen anderen Weg einschlagen. Korea, China und Japan sind die Kulturen, in denen den „martial arts“ hohes Ansehen entgegen gebracht wird. Die Kampfkünste zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen Waffenhandhabung – die Fechtkunst – mit Tanz, Choreographie und Rhythmusgefühl verbunden sind. Im weiteren wollen wir einmal die Malerei mit Farben allein als eine Spielart der „martial arts“ ansehen, für europäische Ohren, als eine Fechtkunst. Eine solche Interpretation findet in einem biografischen Detail der Künstlerin einen wichtigen Widerhall. Vor ihrer Ausbildung zur Malerin in Südkorea und den USA studierte Jin Young Lee Musik mit dem Ziel Konzertpianistin zu werden. Ein hoch entwickeltes Gefühl für Rhythmus, Takt und Phrasierung ist der Malerin also zueigen und gehört zu ihrem Personalstil.

Eine Experimentalanordnung
Stellen wir uns eine Experimentalanordnung vor 1. Die Malerin steht mit dem Pinsel in der Hand vor der Leinwand. Der Pinsel wirkt hier als eine Verlängerung der Gliedmaßen. Ferner gehen wir davon aus, dass die Handbewegungen nicht autonom sind, sondern aus der Körpermitte, aus dem „Schwerpunkt der Bewegung“, stammen. Es malt also hier nicht die Hand, auch nicht der Geist oder Kopf, sondern der ganze Körper selbst. Es mag helfen, wenn man sich die Malerfigur als eine Marionette vorstellt. Einfache Bewegungen aus dem Schwerpunkt der Figur kommen an den Extremitäten, also dort, wo sich der Pinsel befindet, als die Ableitungen einer einfachen Bewegung an und gelangen auch so auf die Leinwand. Auf der Leinwand erscheint die gerade Bewegung in der Körpermitte also als ihre Ableitung, etwa als Kegelschnitt-Linie oder Hyperbel. Statt einfacher Linien und Binnenformen sehen wir auf der Leinwand als Ergebnis des „Malfechtens“ von der Form her kompliziertere farbliche Akzente und Zusammenballungen. Verbinden wir mehrere solcher Bewegungen, so ergibt sich daraus das, was wir einen Tanz nennen können. Die einzelnen Malbewegungen der Künstlerin erzeugen auf der Leinwand einen Tanz der Farbflecken. Den Tanz der Flecken auf der Leinwand können wir auch als Spuren eines Gefechts, im präzisen Sinn als dessen Choreographie, interpretieren. Bemerkenswerterweise registriert die Leinwand alle Bewegungen der Malfechterin und bewahrt sie auf, eben auch für eine nachträgliche „Lektüre“. Auf der Leinwand existiert aber kein Unterschied zwischen Stoß, Finte und Abwehrbewegung, wie er in der aktualen Mal- und Fechthandlung, wenn wir deren Augenzeuge sind, ohne weiteres wahrnehmbar ist. Dieser Umstand bringt allerdings eine Eigentümlichkeit mit sich: Der Tanz der Farbflecken scheint auf der Leinwand zunächst eine reine Raumfantasie zu sein. Die Kategorie der Zeit scheint ausgespart.

Die Inszenierung von Zeit
Für die Malerin hat aber gerade die Kategorie der Zeitlichkeit eine tragende Bedeutung, weil sie, kantisch gesprochen, als apriorische Anschauungsform den inneren Sinn darstellt. Wie findet nun aber die Zeitlichkeit Eingang ins abstrakte Farbbild? Die Malerin bedient sich zweier grundverschiedener Farbfamilien. Zum einen verwendet sie durchscheinende Farben, die sie lasierend, d. h. sehr dünn auf die Leinwand aufbringt. Im hier zur Verdeutlichung angewandten Sprach- und Metaphernfeld könnte man diese als die Spuren der Finten bezeichnen. Zum anderen malt sie aber auch mit opaken Farben. Als solche benenne ich hier Farben, die dick und massiv aufgetragen sind und die anderen Farben komplett überdecken und nicht noch als Rest oder Spur durchschimmern lassen. Die opaken „Farbmale“ gehören der Abteilung Attacke an und bestimmen den Grundcharakter des jeweiligen Bildes. Die lasierend aufgetragenen Farben sorgen dagegen für die stimmungsmäßigen Modulationen des Grundgefühls und vermitteln zwischen den opaken Farbinseln. Sie verleihen den Gemälden ihre zeitliche Tiefe und stehen damit auch ein für das Prinzip der Geschichte in solchen nicht gegenständlichen Farbbildern. Es vermag verwundern, warum hier nicht näher auf die Farblichkeit der Bilder an sich eingegangen wird. Die Farbwirkungen, also recht eigentlich das gesamte Feld der Farbpsychologie, sollen hier bewusst ausgeklammert und der diskret-privaten wie ebenso absolut individuellen Empfindung und Beurteilung überlassen sein. Im Lichte einer solchen Betrachtung wird auch deutlich, warum die Künstlerin in ihren neuesten Bildern immer seltener geometrisch klar definierbare Binnenformen auftreten lässt. Solche Bildelemente bringen es stets mit sich, dass sich assoziative, aus der Form hergeleitete Deutungsmuster vordrängen, etwa wenn der Kreis als Verweis auf Geschlossenheit oder Vollkommenheit gelesen wird oder wenn andere Binnenformen als biomorph gedeutet und auf Gebilde der Erfahrungswelt, d. h. der Natur, bezogen werden.

Der Titel als Interpretation von Gegenwart
Dass die Künstlerin der Kategorie der Zeit in ihrem Werk eine besondere Bedeutung einräumt, kommt auch im Titel ihrer Bilder zum Ausdruck. Seit 2008 benennt sie ihre Farbbilder mit „The Sensibility of Today“ und der jeweiligen Jahreszahl. Bewusst bedient sie sich dabei der Mehrdeutigkeit, über die der Begriff „sensibility“ in der englischen Sprache verfügt, wie auch der gleitenden Bedeutung des Begriffs „today“, das wir mit „heute“ oder „gegenwärtig“ übersetzen können. Die Übersetzung von „sensibility“ wird im Deutschen bekanntermaßen durch das Vorhandensein unseres Fremdworts „Sensibilität“, mit dem der englische Begriff wenig zu tun hat, erschwert. Gemeint ist eine generelle Offenheit und Empfänglichkeit für emotionale und sinnliche Eindrücke, aber auch eine Gesamtheit von persönlichen Moral-, Schönheits- und Gefühlsstandards. Im gehobenen Englisch verstärkt „sensibility“ das Hauptwort „sense“, am bekanntesten in Jane Austens Romantitel „Sense and Sensibility“.
Fassen wir zusammen: Jin Young Lees Farbgefechte sind hoch--artifizielle Kommentare zur Gegenwart, zur eigenen gegenwärtigen Situation und Befindlichkeit. Das Eigene ist aber hier stets auch Metapher für das Allgemeine. Zwischen beiden existieren vielfache, durchaus auch verborgene Verbindungen und Beziehungen. Die Bilder der koreanischen Malerin dürfen für sich in Anspruch nehmen, was Hegel gegen Ende der klassisch-romantischen Kunstperiode in Deutschland, auch Goethe-Zeit genannt, für die Philosophie reklamierte: Sie sei ihre Zeit in Gedanken erfasst. Jin Young Lee fasst ihre Zeit in Farben und bringt sie ins Bild.

Rüdiger Heise

1 Die Experimentalanordnung ist Heinrich von Kleists Abhandlung „Über das Marionettentheater“ zutiefst verpflichtet. Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, dem sei die Lektüre dieses 1810 entstandenen Essays wärmstens empfohlen. Er ist in jeder Kleist-Ausgabe enthalten oder als Auskopplung leicht auffindbar.

x   Y
     
x   Y
     
x   x

>> nach oben



"The Sensibility of Today"
20.10.2011 - 20.01.2012

x   Y
     
x
 
>> nach oben





Ingrid Floss & Jin Young Lee, "Dialoque in Colour "
12.11.09 - 31.03.10

(Text written in english by Nina Kalt)

 
     
 

Ingrid Floss war bis 2004 Meisterschülerin bei Prof. Zeniuk an der Akademie der Bildenden Künste in München, wo sie auch heute lebt und arbeitet.
"Die Farben sind Stellvertreter für Gedanken, die mir durch den Kopf schießen, auf- und abtauchen wie bunte Lichter, manchmal zu grell und schrill und dann wird der Blick wieder frei für das, was darunter liegt."

 
     
 

Jin Young Lee ist eine südkoreanische Malerin. Sie beendete 2000 ihre Ausbildung in den USA an der School of the Museum of Fine Arts in Boston und 2003 an der Tufts University in Medford. Danach kehrte Jin Young wieder zurück nach Seoul.
Lee sieht in der Zunahme der durch Medien verbreiteten visuellen Werte den entscheidend verändernden westlichen Einfluss. Die Werte der koreanischen Kultur, wie Spiritualität und Meditation, werden durch schnelllebige farbige Eindrücke überlagert.

 
     
 

Dialoque in Colour
Lee und Floss verbindet die unbegrenzte Freude an Farbe. Die beiden Künstlerinnen zeigen neben ihren eigenen Bildern auch Arbeiten, die für diese Ausstellung in einer räumlichen Entfernung zwischen München und Seoul gemeinsam gemalt worden sind. Während des Malprozesses wurden die Zwischenstufen per Post ausgetauscht.
Die Südkoreanerin Jin Young, Lee hat über ihre Eindrücke während der gemeinsamen Malerei geschrieben: »Als ich Ingrids Papierarbeiten bekam, habe ich sie ausgebreitet und lange betrachtet. Sie waren stark und frei, genauso wie ihre Bilder auf der Leinwand. Sie sprachen zu mir klar, ohne blumige Worte. Einige Arbeiten schienen die magnifikante Natur der deutschen Wälder einzufangen, andere drückten den Genuss des täglichen Lebens aus. Ich antwortete mit meiner Erfahrung des aufregenden, komplexen Daseins in einer pulsierenden Großstadt. Wir führten einen spannenden, tiefen Dialog, der in keiner anderen Sprache möglich gewesen wäre.«

 

Reihe oben: Jin Young Lee begann in Seoul > Ingrid Floss antwortete in München
Reihe unten:Ingrid Floss begann in München > Jin Young Lee antwortete in Seoul

>> nach oben




Malerei

26.12.2008 - 12.03.2009

Jin Young Lee wurde 1974 in Seoul geboren, zu einer Zeit, in der die Industrialisierung und Urbanisierung Koreas mit enormer Geschwindigkeit voranging. Durch die Formung eines kapitalistischen Wirtschaftssystems veränderte sich das Land entscheidend. Westliche Kultur bestimmte mehr und mehr das Stadtbild und die Bedürfnisse der Menschen. Neu geschaffene Infrastrukturen und der Ausbau der Medienlandschaft trugen wesentlich zu der schnellen Akzeptanz der westlichen Kultur und dem Wandel innerhalb der koreanischen Gesellschaft bei.

Lee beschreibt ihre Generation, die zwischen Leuchtreklamen, Werbeplakaten und pausenloser visuellen Information groß geworden ist, als sehr westlich geprägt und wenig beeinflusst von traditioneller koreanischer Kultur. Für ihre Generation sind Fernsehen und Computermonitore die Fenster zur Welt. Durch diese Medien haben die jungen Koreaner gelernt, die Welt zu verstehen, und es gibt kein Zögern oder Zweifeln, die durch die Medien verbreiteten Informationen und Werte zu akzeptieren.

Lee sieht in dieser Zunahme der visuellen Werte den entscheidend verändernden westlichen Einfluss und die eigentliche Diskrepanz zur koreanischen Kultur. Die nicht visuellen höchsten Werte asiatischer Kultur, wie Spiritualität und Meditation, werden durch schnelllebige oberflächliche visuelle Eindrücke überlagert.

Diese Diskrepanz thematisiert Jin Young Lee in ihren Arbeiten. Sie nähert sich dabei nicht von einem kritischen Standpunkt, sie möchte selbst nicht werten, sondern Werte verbinden. Während ihrer zehnjährigen Ausbildungszeit in den Vereinigten Staaten machte sie die Erfahrung, dass sich die Qualität ihrer koreanischen Lebenskultur nicht von der amerikanischen Lebenskultur unterscheidet, sondern sie sich vielmehr gegenseitig abstimmen und ergänzen.

Die Wahrnehmung und Ergänzung von Qualitäten und Werten zeigt sich in ihrer Malerei, die eine innere Abstimmung der verschiedenartigen kulturellen Erfahrungen visualisiert.


 
     
 

>> nach oben


   
Galerie Ausstellungen Pressestimmen Kontakt